BGN Akzente
Reportage: „Fast wie Ironman“
Gabriele Albert
Autorin
Michael Namberger
Fotos
Futuristisch wie in einem Actionfilm sehen sie aus: Exoskelette sind am Körper getragene Hebehilfen, die das Muskelskelettsystem beim Bewegen von Lasten unterstützen. Die Käserei Bergader in Oberbayern stellt ihren Beschäftigten Exoskelette seit Dezember 2021 zur Verfügung. Die Resonanz ist äußerst positiv.
In einer Käserei wird körperlich hart gearbeitet. Während der eigentlichen Käseproduktion und später in der Verpackung. Viele hundert Mal pro Schicht müssen dort Paletten oder Käsehorden befüllt, gehoben und getragen werden, meistens von Hand. „Überall dort, wo wir Prozesse nicht automatisieren oder durch technische Hebehilfen erleichtern können, ist das Heben und Tragen immer noch Handarbeit und entsprechend anstrengend“, erklärt Betriebsleiter Heinrich Wolfertstetter. „Und da sind Exoskelette wirklich eine große Erleichterung“, fährt Simon Wildner fort. Er verantwortet den Bereich „Käserei 1“ und gilt bei Bergader als der „Exo-Man“ der ersten Stunde. Als Vorgesetzter wollte er genau wissen, wie diese Hebehilfen, die ein wenig aussehen wie eine Mischung aus Klettergurt und Rückenprotektor, funktionieren und hat die ersten Modelle selbst getestet. „Da fühlt man sich fast wie der kleine Bruder von Ironman“, sagt er lächelnd. „Unser Inhaber und Geschäftsführer Felix Kress hat 2021 die Idee gehabt, Exoskelette auszuprobieren und wir haben uns verschiedene Modelle von unterschiedlichen Herstellern angesehen und eine Zeitlang in einer Pilotgruppe getestet. Das Feedback der Mitarbeiter war sehr gut. Mittlerweile sind insgesamt elf dieser körpereigenen Hebehilfen bei uns im Einsatz: in der Käserei und in der Verpackung. Die Träger sind mehr als zufrieden“, so Sabine Ortbauer, Gesundheitsmanagerin bei Bergader.
Einer davon ist Manuel Kroiß, der seit zehn Jahren in der Verpackung bei Bergader arbeitet und von Anfang an Feuer und Flamme für seine persönliche Hebehilfe war. „Ich finde das Ding klasse“, sagt er. „Früher war ich abends total kaputt und hatte oft Rückenschmerzen. Das ist viel besser geworden, seit ich mein Exoskelett trage.“ Und das tut er konsequent, in der Regel acht Stunden lang über die ganze Schicht hinweg. „Der Manuel geht damit auch in die Kantine“, schmunzelt Sabine Ortbauer. Die dort genutzten passiven Exoskelette kann man nämlich sehr schnell im Brustbereich losschnallen, ein Klick und sie sitzen so locker, dass man sich mit ihnen bequem bewegen und auch hinsetzen kann.
Die richtige Wahl treffen
Grundsätzlich unterscheidet man bei Exoskeletten zwei Arten: passive und aktive. Bei den passiven Varianten speichern beispielsweise Feder- oder Seilzugsysteme die körpereigenen Kräfte und geben sie beim Hebevorgang zurück. Sie haben eine assistierende Wirkung, etwa bei Tätigkeiten in ergonomisch ungünstigen Haltungen – wozu bei Bergader vor allem das Palettieren oder das Umsetzen der Käsestücke in der Reifung gehören. Aktive Exoskelette funktionieren dagegen über kraftgenerierende Komponenten wie elektrische Motoren oder pneumatische Antriebe.
„Ob und welches Exoskelett zu einem Arbeitsplatz passt, hängt stets von den dortigen Rahmenbedingungen ab. Aktive Exoskelette waren im Fall Bergader wegen der Feuchtigkeit, den Hygieneanforderungen und den Platzgegebenheiten nicht empfehlenswert. Außerdem sind sie viel schwerer und um ein Vielfaches teurer als passive Modelle“, erklärt Stephan Huis, Ergonomieexperte bei der BGN. Er begrüßt den Einsatz dieser körpereigenen Hebehilfen bei Bergader, warnt aber ganz allgemein davor, diese als Allheilmittel zu betrachten. „Im Arbeitsschutz muss immer das TOP-Prinzip gelten. Exoskelette sind personengebundene Hilfsmittel und eignen sich als ergänzende Maßnahme, vor allem an Arbeitsplätzen, an denen alle technischen und organisatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Ebenso können sie als Übergangslösung eingesetzt werden, bis eine technische Lösung am betroffenen Arbeitsplatz möglich ist und sorgen darüber hinaus für eine verbesserte Körperhaltung bei der Arbeit“, so Stephan Huis.
Alles in Allem ist es ihm sehr wichtig, den Einsatz von Exoskeletten in den Betrieben gründlich vorzubereiten. „Die Unterstützung von Exoskeletten beschränkt sich auf bestimmte Bewegungen und Körperhaltungen. Hat man nicht alle Tätigkeiten genau im Blick, können sie schlimmstenfalls sogar kontraproduktiv wirken.“ Für den Ergonomieexperten gehören Exoskelette daher selbstverständlich in die Gefährdungsbeurteilung des jeweiligen Arbeitsplatzes. Außerdem muss ihre Wirksamkeit auch auf lange Sicht immer wieder kontrolliert werden.
Exoskelette eignen sich als ergänzende Maßnahme, vor allem an Arbeitsplätzen, an denen alle technischen und organisatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
Nur ein Teil des Puzzles
„Der Einsatz unserer Exoskelette ist natürlich nur ein Baustein, sozusagen ein Puzzleteil auf dem Weg zu ergonomisch optimalen Arbeitsplätzen. Überall, wo es möglich ist, optimieren wir zu allererst die Arbeitsprozesse und setzen technische Hebehilfen wie höhenverstellbare Hubtische, Mitfahrhubwägen, Hochhubwägen, Präsentierer und höhenverstellbare Förderbänder ein“, erklärt Betriebsleiter Wolfertstetter. „Die Exoskelette sind eine langfristige Investition in die Gesundheit unserer Mitarbeiter und wir wollen deren Anzahl noch erhöhen. Am meisten und langfristig profitieren natürlich die heute noch jungen Kollegen von dieser körperlichen Entlastung.“ Gesundheitsmanagerin Sabine Ortbauer ergänzt: „Wir nehmen die Gesundheit unserer Mitarbeiter wirklich sehr ernst und wollen, dass alle gesund und fit in Rente gehen können. Das ist uns eine Herzensangelegenheit und in der Geschäftsführung verankert.“ Aus diesem Grund biete das Unternehmen seit 2012 seiner Belegschaft ganz unterschiedliche gesundheitsfördernde Programme an. „Dazu gehören unter anderem flexible Arbeitszeitmodelle, Jobsharing, flexible Schichteinteilungen und der eigene Kindergarten ‚Käsemäuse‘“, zählt Ortbauer auf. Besonders stolz ist sie auf die firmeneigene Gesundheitslounge mit sechs Power Plates, Faszienrollen, Gymnastikmatten und Trinkwasserspendern, die jede und jeder nutzen könne und die Möglichkeit für alle Beschäftigten, sich innerhalb kurzer Zeit einen Termin bei einem Partner-Physiotherapeuten geben zu lassen. „Darauf muss man ja normalerweise lange warten. Bei uns geht das schnell und so werden erste Beschwerden zeitnah behandelt. Das hilft, ernsten und langwierigen Beschwerden vorzubeugen.“
Auch Manuel Kroiß nimmt einige dieser Angebote wahr und hätte sich vor einigen Jahren nicht vorstellen können, abends ohne Rückenschmerzen und Muskelverspannungen nach Hause zu gehen. „Ich kann nur sagen: Ohne mein Exoskelett würde es wahrscheinlich deutlich öfter im Rücken zwicken. Da bin ich meinem Arbeitgeber wirklich dankbar, dass er mir das ermöglicht.“ Er lächelt, dreht sich um und geht wieder an seinen Palettierarbeitsplatz, wo bis Schichtende noch viele hundert Pakete voller Käsestücke bewegt werden wollen.
Die Reportage ist erschienen in: Akzente No. 5/2022 – ein Magazin der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) für Magazin für Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Rehabilitation.
Artikel veröffenticht
29.09.2023 - 16:40 Uhr
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